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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Naumburg
Beschluss verkündet am 15.12.2008
Aktenzeichen: 1 Ws Reh 618/08
Rechtsgebiete: StrRehaG, StPO, VwVfG


Vorschriften:

StrRehaG § 6
StrRehaG § 14 Abs. 1
StrRehaG § 14 Abs. 4
StrRehaG § 16 Abs. 1
StrRehaG § 16 Abs. 2
StrRehaG § 17
StrRehaG § 17 a
StrRehaG § 25 Abs. 1 S. 4
StPO § 300
StPO § 467 Abs. 1
VwVfG § 1 Abs. 1
VwVfG § 48
VwVfG § 49 a
Unter Berücksichtigung des besonderen Gewaltverhältnisses des Jugendstrafvollzuges kann es naheliegen, dass der ausschließlich im Jugendhaus als Geheimer Informator tätige Betroffene keinen freien Willen hinsichtlich seiner Zusammenarbeit mit dem Ministerium für Staatssicherheit der DDR entwickeln konnte, sondern sich unter diesen Bedingungen praktisch zu einer Zusammenarbeit gezwungen sah (vgl. auch Thüringer OLG, OLG-NL 2006, 214, 215).
OBERLANDESGERICHT NAUMBURG BESCHLUSS

1 Ws Reh 618/08 OLG Naumburg

In dem Verfahren

hat der 1. Senat für Rehabilitierungsverfahren des Oberlandesgerichts Naumburg am 15. Dezember 2008 durch

den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Krüger, den Richter am Oberlandesgericht Halves und den Richter am Amtsgericht Sarunski

beschlossen:

Tenor:

Auf die Beschwerde des Betroffenen vom 30. Oktober 2008 wird der Beschluss der Kammer für Rehabilitierungsverfahren des Landgerichts Magdeburg vom 23. Oktober 2008 aufgehoben.

Der Bescheid des Landesverwaltungsamtes Sachsen - Anhalt - Referat Versorgungsamt , Hauptfürsorgestelle, Soziales Entschädigungsrecht - vom 25. Juli 2008/ 05. August 2008 (... StrRehaG-OP) wird aufgehoben.

Die Entscheidung ergeht frei von Gerichtskosten.

Die notwendigen Auslagen des Betroffenen trägt die Landeskasse.

Gründe:

I.

Mit Beschluss vom 23. Juli 2001 (Reh 3979/00) wurde das gegen den Betroffenen gerichtete Urteil des Kreisgerichts Magdeburg-Süd vom 17. März 1970 (S 121/69 Süd) wegen des Vorwurf des versuchten ungesetzlichen Grenzübertritts und der angeordneten Rechtsfolge von einem Jahr Freiheitsstrafe für rechtsstaatswidrig erklärt und aufgehoben, soweit sich der Vorwurf und die Rechtsfolge auf den Betroffenen bezogen. Zugleich wurde die Dauer der zu Unrecht erlittenen Freiheitsentziehung zum Nachteil des Betroffenen auf die Zeit vom 02. September 1969 bis 01. September 1970 festgestellt.

Daraufhin beantragte der Betroffene unter dem 16. September 2001 Leistungen nach den §§ 6, 17 StrRehaG, die ihm seitens des Amtes für Versorgung und Soziales Magdeburg mit Bescheid vom 20. November 2001 (... ) anfänglich gewährt wurden.

Ferner stellte der Betroffene mit Datum vom 03. September 2007 beim Landesverwaltungsamt - Referat Versorgungsamt/SER - in Magdeburg einen Antrag auf Gewährung einer besonderen monatlichen Zuwendung (Opferpension) nach § 17 a StrRehaG, die ihm mit Bescheid des Landesverwaltungsamtes Sachsen-Anhalt - Referat Versorgungsamt, Hauptfürsorgestelle, Soziales Entschädigungsrecht - vom 11. Dezember 2007 (... StrRehaG - OP) ebenfalls in einer Höhe von 250 Euro monatlich ab dem 01. September 2007 gewährt wurde.

Nach Durchführung von Recherchen beim Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienst der ehemaligen DDR hat das Verwaltungsamt mit Bescheid vom 25. Juli 2008 / 05. August 2008 den Bewilligungsbescheid vom 11. Dezember 2007 "mit Wirkung für die Vergangenheit und Zukunft" zurückgenommen und die bereits geleisteten Zahlungen in einer Gesamthöhe von 2.750 Euro zurückgefordert. Zur Begründung wurde im wesentlichen ausgeführt, dass der Betroffene "nachweislich von Februar 1962 bis August 1963 unter dem Decknamen "R. " als geheimer Informator (GI) für das Ministerium der Staatsicherheit der ehemaligen DDR tätig" gewesen sei und detaillierte, personenbezogene Berichte mit politischem Hintergrund vorrangig über Personen aus seinem damaligen Umfeld in den Jugendhäusern G. und L. geliefert habe. Diese Berichte seien für die betreffenden Personen ausgesprochen belastend gewesen, so dass sie durchaus geeignet gewesen seien, den betroffenen Personen Nachteile zuzufügen. Durch dieses Verhalten habe der Betroffene das Unrechtssystem bewusst und gewollt aktiv unterstützt und gestärkt. Seine Mitarbeit gehe eindeutig über geringfügige Verstrickungen in das politische Unrechtssystem hinaus, wie es bei einer über Jahrzehnte bestehende Diktatur immer wieder vorkommen könne. Dieses Verhalten des Betroffenen begründe einen Verstoß gegen die Grundsätze der Menschlichkeit und Rechtsstaatlichkeit mit der Folge, dass die Zahlung einer Opferpension nach § 17 a StrRehaG nicht gewährt werden könne.

Mit Bescheid vom 26. August 2008 (... ) hat das Landesverwaltungsamt auch seinen Bescheid vom 20. November 2001 auf Entschädigungsleistungen nach §§ 6, 17 StrRehaG zurückgenommen und von dem Betroffenen die Rückerstattung von Entschädigungsleistungen in Höhe von 3.988,08 Euro gefordert.

Den gegen den Rückforderungsbescheid vom 25. Juli 2008/ 05. August 2008 gerichteten Antrag des Betroffenen auf gerichtliche Entscheidung hat die Kammer für Rehabilitierungsverfahren des Landgerichts Magdeburg mit Beschluss vom 23. Oktober 2008 zurückgewiesen, wobei sie sich im wesentlichen der Begründung des Landesverwaltungsamtes in seinem Bescheid vom 25. Juli 2008/ 05. August 2008 anschloss.

Hiergegen richtet sich die sofortige Beschwerde des Betroffenen vom 30. Oktober 2008, eingegangen beim Landgericht Magdeburg am 03. November 2008.

II.

Das gemäß § 300 StPO als Beschwerde auszulegende Rechtsmittel des Betroffenen ist zulässig (§ 13 Abs. 1, 25 Abs. 1 S. 4 StrRehaG) und hat in der Sache auch Erfolg.

Die Voraussetzungen der Rücknahme des Bescheides vom 11. Dezember 2007 nach § 1 Abs. 1 VwVfG Sachsen-Anhalt i. V. m. § 48 VwVfG und die Erstattung zu Unrecht erbrachter Leistungen gemäß § 49 a VwVfG i. V. m. § 16 Abs. 2 StrRehaG liegen nicht vor.

Gemäß § 16 Abs. 1 StrRehaG hat nach durchgeführter strafrechtlicher Rehabilitierung ein Betroffener grundsätzlich einen Anspruch auf soziale Ausgleichsleistungen für Nachteile, die ihm durch die Freiheitsentziehung entstanden sind. Darunter fällt auch die Gewährung der Opferpension nach § 17 a StrRehaG.

Das StrRehaG spricht dem Opfer einer rechtsstaatswidrigen Freiheitsentziehung aber nicht in jedem Fall eine solche soziale Ausgleichsleistung zu. Nach § 16 Abs. 2 StrRehaG wird die Opferpension nicht gewährt, wenn der Betroffene gegen die Grundsätze der Menschlichkeit oder Rechtsstaatlichkeit verstoßen oder in schwerwiegendem Maße seine Stellung zum eigenen Vorteil oder zum Nachteil anderer missbraucht hat. Diese Ausschlussregel soll bewirken, dass Täter innerhalb eines Unrechtsregimes nicht auch noch in den Genuss von Leistungen gelangen, die Opfern grundsätzlich höchstpersönlich wenigstens zu einer gewissen Entschädigung des Unrechts und der damit verbundenen Erschwernis und Qualen zugedacht ist. Dabei spielt es grundsätzlich keine Rolle, aus welchen Gründen ein Opfer vor oder auch nach seiner rehabilitierungswürdigen Verurteilung zum Täter geworden ist. Allein das feindliche und die Gesellschaft belastende Verhalten der betreffenden Person ist entscheidend, und sie soll dann auch von der Gewährung der sozialen Ausgleichsleistung ausgeschlossen sein. Diese Ausschlussregelung entspricht verfassungsrechtlichen Grundsätzen. Danach sollen Personen von wiedergutmachenden Leistungen ausgeschlossen werden, die gegen die Menschlichkeit in einer demokratischen Grundordnung verstoßen haben, so dass die Gewährung von Entschädigungen nach § 16 Abs. 1 StrRehaG getrennt von dem Akt der Rehabilitierung zu betrachten ist, welche eine Genugtuung für politisch motiviertes strafrechtliches Unrecht darstellt (Thüringer OLG, OLG NL 2006, 214, 215). Dabei ist ein Verstoß gegen die Grundsätze der Menschlichkeit i. S. v. § 16 Abs. 2 StrRehaG dann anzunehmen, wenn die Achtung der Menschenwürde erheblich beeinträchtigt worden ist. Die staatlich gewollte Bespitzelung von Menschen, die nur der Aufrechterhaltung eines Unrechtsregimes dient, ist mit den Grundsätzen der Rechtsstaatlichkeit und Menschlichkeit grundsätzlich unvereinbar (Thüringer OLG, NJ 2002, 324, 325).

Allerdings ist nicht jede Tätigkeit - wie hier als Geheimer Informator - geeignet, die Grundsätze der Menschlichkeit im Sinne des § 16 Abs. 2 StrRehaG zu verletzen. Notwendig sind vielmehr erhebliche gegen die Gemeinschaftsordnung verstoßende Handlungen. Dies ist dann der Fall, wenn jemand freiwillig und gezielt, insbesondere auch durch Eindringen in die Privatsphäre anderer und Missbrauch persönlichen Vertrauens, Informationen über Mitbürger gesammelt und an den in der DDR für seine repressiven und menschenverachtende Tätigkeit bekannten Staatssicherheitsdienst weitergegeben hat (BVerwG, Urteil vom 19. Januar 2006, 3 C 11/05 - zitiert nach JURIS-Datenbank -, KG NJ 1997, 435). Die tatsächlichen Grundlagen der Voraussetzungen des Ausschließungsgrundes müssen nachgewiesen sein. Bloße Wahrscheinlichkeiten und Vermutungen reichen nicht aus. Es ist vielmehr in jedem Einzelfall zu prüfen, ob die Intensität der Zusammenarbeit mit dem MfS oder anderen Sicherheitsdiensten oder deren Auswirkungen auf Dritte in solch einem Maße verwerflich gewesen sind, dass sie die durch die rechtsstaatswidrige Haft erlittenen eigenen Schäden des Betroffenen eindeutig überwiegen (KG NJ 1997, 435; KG VIZ 2002, 184).

Entgegen der Auffassung des Landgerichts Magdeburg in seinem Beschluss vom 23. Oktober 2008 liegen solche konkrete und schwerwiegende Verstöße in der Person des Betroffenen nicht vor.

Dabei kann es dahingestellt bleiben, ob eine Versagung von sozialen Ausgleichsleistungen nach § 16 Abs. 2 StrRehaG schon dann in Betracht kommt, wenn die Informationstätigkeit eine beachtliche Gefahr darstellt bzw. eine Gefährdung für andere Personen geschaffen hat, ohne dass es darauf ankäme, ob den betroffenen Personen durch die Spitzeltätigkeit des Betroffenen tatsächlich ein Schaden entstanden ist (so Thüringer OLG, OLG NL 2006, 214, 215; BVerwG, a. a. O.) oder aber die Bespitzelung zu einer beachtlichen Gefahrenlage für den Bespitzelten mit daraus resultierenden Nachteilen führte (vgl. OLG Rostock, Beschluss vom 10. Februar 2004 - I Ws RH 3/03 - zitiert nach JURIS-Datenbank).

Aus den dem Senat vorliegenden Unterlagen des Bundesbeauftragten für die Unterlagen der Staatsicherheit vom 07. Juli 2008 ergibt sich, dass der Betroffene ausschließlich während der Zeiten seiner Inhaftierung im Jugendhaus G. und L. zwischen Februar 1962 und August 1963 an insgesamt 18 Treffberichten beteiligt gewesen ist, wovon drei dem Senat schriftlich vorlagen. In lediglich einem Fall berichtete der Betroffene von Äußerungen von Mitgefangenen, im Fall der Haftentlassung das damalige Staatsgebiet der DDR nach Westdeutschland zu verlassen. In den anderen, dem Senat vorliegenden Berichten werden Äußerungen über allgemeine Disziplinlosigkeiten unter den Mitgefangenen oder aber über allgemeine Straftaten in den jeweiligen Vollzugseinrichtungen abgegeben. Hieraus ist zu schlussfolgern, dass die Intensität der Berichtstätigkeit des Betroffenen nicht derart hoch gewesen ist, dass von einer Erheblichkeit auszugehen ist. Im Übrigen bleiben die dem Senat vorliegenden Berichte in der Sache auch recht allgemein und farblos. All dies kann entgegen der Ansicht der Kammer für Rehabilitierungsverfahren des Landgerichts Magdeburg die Versagung der Opferpension nach § 17 a StrRehaG nicht ausreichend begründen.

Dies gilt um so mehr, als die Zusammenarbeit des Betroffenen lediglich den Zeitraum seiner Inhaftierung in den vorgenannten Jugendhäusern betraf und damit dem anfänglich jugendlichen Alter des Betroffenen und den allseits bekannten repressiven Bedingungen des Jugendstrafvollzuges in der ehemaligen DDR geschuldet war. Unter Berücksichtigung des besonderen Gewaltverhältnisses des Jugendstrafvollzuges lag es daher nahe, dass der Betroffene keinen freien Willen hinsichtlich seiner Zusammenarbeit mit dem Ministerium für Staatssicherheit der DDR entwickeln konnte, sondern unter diesen Bedingungen praktisch zu einer solchen Zusammenarbeit gezwungen sah. Es ist in der Rechtsprechung inzwischen anerkannt, dass bei Ausnutzung der Inhaftierung eines Betroffenen bei Anwerbung durch das MfS eine Zwangslage geschaffen wird, bei der nicht erwartet oder verlangt werden kann, sich der angetragenen Mitarbeit zu widersetzen oder zu entziehen (vgl. BVerwG, a. a. O.; Thüringer OLG, OLG NL 2006, 214, 215). So liegt es hier, da mit Entlassung des Betroffenen aus dem Jugendhaus L. die Zusammenarbeit mit dem Ministerium für Staatssicherheit beendet wurde und der Betroffene sich einem späteren Anwerbungsversuch laut Mitteilung des Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatsicherheitsdienstes der DDR im Jahr 1964 widersetzte. Gerade der letztgenannte Umstand belegt, dass der Betroffene nicht in freiwilliger und erheblicher Weise, sondern nur gezwungenermaßen unter den Bedingungen des Jugendstrafvollzuges zur Zusammenarbeit mit dem MfS bereit war.

Nach alldem sind der Beschluss des Landgerichts Magdeburg vom 23. Oktober 2008 und der Bescheid des Landesversorgungsamtes Sachsen-Anhalt vom 25. Juli/5. August 2008 mangels ausreichendem Vorliegens der Versagungsgrundsätze des § 16 Abs. 2 StrRehaG aufzuheben.

Abschließend weist der Senat vorsorglich darauf hin, dass der Betroffene hinsichtlich des Rückforderungsbescheides des vorgenannten Amtes vom 26. August 2008 bei verständiger Würdigung seines Schreibens vom 09. September 2008, eingegangen beim Landgericht Magdeburg am 10. September 2008 und dort registriert unter dem Aktenzeichen AR 33/08, einen weiteren Antrag auf gerichtliche Entscheidung gestellt hat. Über diesen Antrag hat die Kammer für Rehabilitierungsverfahren des Landgerichts Magdeburg unter Beachtung der Rechtsauffassung des Senats noch zu entscheiden.

Verfahrenskosten werden nicht erhoben, §§ 14 Abs. 1, 25 Abs. 1 S. 4 StrRehaG.

Die Auslagenentscheidung folgt aus §§ 14 Abs. 4, 25 Abs. 1 S. 4 StrRehaG; 467 Abs. 1 StPO in entsprechender Anwendung.

Gegen diesen Beschluss gibt es kein weiteres Rechtsmittel.

Ende der Entscheidung

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